Nachruf

Jean Albre (1924 – 2022)

 |  14. November 2022

Jean Albre ist am 1. Oktober 2022 kurz vor seinem 98. Geburtstag in seinem Wohnort Cagnes-sur-Mer gestorben. Er war einer der letzten französischen Überlebenden des KZ Dachau.

Albre stammte aus Charenton im Departement Seine. Mit 18 Jahren wurde Albre zum Arbeitsdienst ins Deutsche Reich verpflichtet und arbeitete für eine Firma in Unterfranken. Am 7. Oktober 1943 wurde er verhaftet und am 29. Juni 1944 von der Gestapo in das KZ Dachau eingewiesen.

Albre war im KZ schwerer Zwangsarbeit unterworfen, die er zunächst im Luftwaffenstützpunkt Schleißheim leisten musste. Nach einem heftigen Bombardement des Stützpunkts, das nur ein kleiner Teil der Häftlinge überlebte, erkrankte Albre schwer und kam ins Krankenrevier. Nach einigen Wochen wurde er in das Außenlager Fischhorn verlegt. Das Lager befand sich im heutigen österreichischen Bundesland Salzburg in der Nähe des Ortes Bruck an der Großglocknerstraße. Die Häftlinge waren direkt dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt unterstellt und mussten Hilfsarbeiten für das dortige SS-Remonteamt leisten, das die Ausbildung von Pferden für den Kavallerieeinsatz beaufsichtigte. Oftmals waren sie aber auch verpflichtet, Raubgut, wie etwa wertvolle Gemälde, das per Bahn nach Zell am See gebracht worden war, zu entladen und in das nahe gelegene Schloss Fischhorn zu bringen.

Albre erinnerte sich, dass er täglich drei Kilometer zur Arbeitsstelle laufen musste. Die Häftlinge, ausgerüstet nur mit schlechtem Schuhwerk, waren gezwungen tagelang in kaltem Wasser eines Baches oder im Schnee zu arbeiten. Wer an diesen unerträglichen Lebensbedingungen schwer erkrankte, wurde in das Stammlager Dachau zurückgeschickt, wo die Überlebenschance sehr gering war.

Albre wurde einen Monat vor Kriegsende auf einem Lastwagen nach Dachau zurückgebracht, ins Lagergefängnis geworfen und schließlich in einem Bombenräumkommando eingesetzt. Er überlebte allen Gefahren zum Trotz. Albre verdrängte das Erlebte nicht, er setzte sich damit auseinander und reiste mit seiner Familie schon in den 1950er Jahren nach Fischhorn. Mit seinem exakten Erinnerungsvermögen konnte er die genaue Lage der längst verschwundenen Häftlingsbaracken lokalisieren und schilderte eindringlich die katastrophalen Lebensbedingungen in Dachau und den Außenlagern.

Albre arbeitete nach dem Krieg als Pilot für verschiedene französische Luftfahrtunternehmen. Über viele Jahre stand er im Austausch mit Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte. Nun ist er, der letzte Überlebende des Außenlagers Fischhorn, gestorben. Wir behalten ihn als freundlichen und großzügigen Menschen in Erinnerung. Unser Beileid gilt seinen Kindern und Enkeln.

 

Bild: Jean Albre mit Ehefrau, 2009 (KZ-Gedenkstätte Dachau/Albert Knoll)