Literarturtipps – Newsletter 6 – 2013

Literarturtipps

 

tl_files/images/aktuelles/Newsletter/ausgabe 6/Bullinger, Ruth.jpg Bullinger, Ruth Elisabeth : Belastet
oder entlastet? Dachauer Frauen im Entnazifizierungsverfahren. – München :
Herbert Utz Verlag 2013 (Dachauer
Diskurse ; Bd. 7)

Die Fragen nach Schuld und Verantwortung für die
nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zu beantworten, ist auch knapp 70
Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht einfacher geworden. Bereits
die Instrumente, die dafür in der unmittelbaren Nachkriegszeit von den
Besatzern entwickelt wurden, erwiesen sich in vielerlei Hinsicht als
unbrauchbar, um die Verantwortlichen einer gerechten Strafe zuzuführen. Die
deutschen Stellen, die ab 1946 für die Abwicklung der Entnazifizierung
verantwortlich waren, standen schließlich vor dem Problem, eine viel zu große
Gruppe formal belasteter Bürger individuell zur Rechenschaft ziehen zu müssen.
Dies führte zwangsläufig zu Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung
vor Ort. Die Folge war, dass die Mehrheit der Bevölkerung, die sich weniger als
Täter denn als Opfer des NS-Systems sah, das Entnazifizierungsprogramm sehr
schnell als ungerecht empfand.
In diesem Zusammenhang untersucht die vorliegende Studie die Entnazifizierung
in Dachau und geht dabei speziell der Frage nach, inwiefern das
Konzentrationslager eine Rolle in den Verfahren der betroffenen Frauen aus
Dachau spielte. Denn gerade die Dachauer mussten sich bereits seit 1945 den
Vorwurf gefallen lassen, eine moralische Mitschuld an den Verbrechen im KZ zu
tragen.


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Feingold, Marko
M. : Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine
Überlebensgeschichte. – Salzburg : Otto Müller Verlag 2012

Die Lebenserinnerungen von Marko Max Feingold sind
geprägt von Gegensätzen und zeigen Wendungen und Brüche in einem von
Nationalsozialismus und Holocaust bestimmten Leben. 1913 in Neusohl, in der
heutigen Slowakei geboren, verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Wien:
eine Kindheit im Prater, die Jugend im Wiener Grabencafé, Vertreterjahre für
Flüssigseifen im faschistischen Italien der dreißiger Jahre, eine vergebliche
Flucht vor den Nationalsozialisten nach Prag und die Verhaftung im Jahr 1938
prägen seine frühen Lebensjahre. Marko Feingold überlebt die unmenschliche
Grausamkeit der Konzentrationslager Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald.
Nach der Befreiung durch die Alliierten verschlägt es Feingold nach Salzburg.
Hier leitet er eine Verpflegungsstätte für politisch Verfolgte und es gelingt
ihm in den darauffolgenden Jahren, unzähligen KZ-Überlebenden bei ihrer
Ausreise nach Palästina zu helfen. Seit der Gründung im Jahr 1946 ist er
Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, dessen Vorsitzender er
seit 1977 ist. Mit seinem Engagement gegen das Vergessen prägt er bis heute das
öffentliche Leben weit über Salzburg hinaus. Der erzählerische Rückblick
Feingolds auf sein Leben ist niemals sentimental oder anklagend, und trotz des
Erlittenen liegen darin viel Humor und Unbeschwertheit.


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Pfeil, Hugo :
Leben, Leiden und Sterben der kath. Priester im KZ Dachau. Bearb. und kommentiert
von Bernhard Haupert, Hans Günther Maas und Franz Josef Schäfer. – Eppelborn :
Stiftung Kulturgut Gemeinde Eppelborn 2012

Hugo Pfeil wurde am 20. September 1939 „wegen
staatsfeindlichen Verhaltens“ von der Gestapo verhaftet. Man warf ihm vor,
„sein Verhalten gefährde den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates,
weil er durch hetzerische und zersetzende Reden Unruhe in die Bevölkerung
trage“. Es folgte ein langer Leidensweg, beginnend in den Gefängnissen
Ottweiler und St. Wendel, gefolgt von einem zehnmonatigen Aufenthalt im KZ
Sachsenhausen. Anschließend, vom 15. Dezember 1940 bis zum 9. April 1945 war er
im KZ Dachau inhaftiert.

Hugo Pfeil hat nach Kriegsende seine Erinnerungen
dokumentiert. Die Autoren entschieden sich dafür, die Ausgabe aus dem Jahr 1960
zu bearbeiten. Die Passagen der Urfassung aus dem Jahr 1946, die 1960 nicht
übernommen wurden, konnten in den Anmerkungsapparat aufgenommen werden. Die
Aufzeichnungen über seine Leidenszeit in den Konzentrationslagern Sachsenhausen
und Dachau können somit erstmalig, ein halbes Jahrhundert nach ihrer
Niederschrift, ungekürzt der Öffentlichkeit vorgelegt werden.


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Raim, Edith :
Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Wiederaufbau und Ahndung von
NS-Verbrechen in Westdeutschland 1945-1949. – München : Oldenbourg 2013

Das Bild ubiquitären
Versagens der deutschen Justiz ist fest etabliert. Edith Raim stellt es nicht
ganz auf den Kopf, sie relativiert die gängige Deutung aber in vielerlei
Hinsicht. Ausgangspunkt ist die facettenreiche Sozialgeschichte der
westdeutschen Justiz nach 1945, wobei auch die leidenschaftlichen
deutsch-alliierten Diskussionen über die nationalsozialistischen „Verbrechen
gegen die Menschlichkeit“ untersucht werden. Im Mittelpunkt aber stehen
zahlreiche deutsche Gerichtsverfahren, die brisanten Themen wie etwa der
„Reichskristallnacht“, der „Arisierung“ und der „Euthanasie“
gewidmet waren. Auch die deutsche Justiz blieb in der Besatzungszeit nicht
untätig. Nie wieder wurde so intensiv ermittelt wie damals. Dass die Gerichte dabei
Beachtliches leisteten, ist im vergangenheitspolitischen Diskurs kaum präsent.
Edith Raim hebt es auf beeindruckende Weise in unser Bewusstsein.


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Weise, Niels :
Eicke. Eine SS-Karriere zwischen Nervenklinik, KZ-System und Waffen-SS. –
Paderborn : Ferdinand Schöningh 2013

Theodor Eicke, gescheiterter Unterzahlmeister des
Ersten Weltkriegs, wurde erst zum Kommandanten des KZ Dachau, dann zu einem der
fanatischsten SS-Generale, ehe er 1943 den Tod an der Ostfront fand. Niels
Weise schildert die Karriere dieser furchtbaren Berühmtheit auf einer teilweise
erstmals ausgewerteten Quellenbasis. So wird nicht nur die Bedeutung Eickes für
den Aufbau des KZ-Systems und der Waffen-SS beleuchtet. Auch die von
Bürgerkriegsphobien getragenen Übergänge zwischen NS-Bewegung und
Rechtsterrorismus am Ende der Weimarer Republik sind erstmals dargestellt. 1933
nutzte Himmler den Umstand aus, dass Eicke aufgrund politischer Intrigen in die
Psychiatrie eingewiesen wurde, um den eigensinnigen SS-Führer an sich zu
binden. Die Nervenheilanstalt diente Himmler als Werkzeug: Eine auf den
Faktoren Erziehung, Verpflichtung und Treue basierende SS-Karriere nahm ihren
verhängnisvollen Lauf.

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