Nachruf
Mario Candotto (1926-2025)
| 1. August 2025

Mario Candotto bei der Befreiungsfeier 2022 in Dachau © KZ-Gedenkstätte Dachau
Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um Mario Candotto. Der italienische Überlebende des KZ Dachau ist am 29. Juli 2025 im Alter von 99 Jahre gestorben.
Mario Candotto wurde am 2. Juni 1926 in Porpetto (Italien) geboren. Nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 zogen seine Brüder Massimo und Renzo zu den Partisanen in die Berge. Den 17-jährigen Mario Candotto ließ die Mutter nicht gehen. Stattdessen wurde er Kurier der Brigade Bruno Montina, eine Gruppe des dortigen Widerstandes. Er überbrachte Nachrichten, half den Kämpfern, bewegte sich zwischen den Fronten.
Am 24. Mai 1944 wurde die Familie Candotto nach einer Denunziation geschlossen verhaftet. Insgesamt wurden an diesem Tag bei einer Razzia 70 Menschen aus Ronchi dei Legionari verschleppt. Die Familie Candotto wurde auseinandergerissen: Mario und sein Vater Domenico wurden nach Dachau, seine Mutter und seine Schwestern Ida und Fede nach Auschwitz deportiert. Die älteren Brüder waren bereits im Kampf gefallen.
Von der Sicherheitspolizei in Triest wurde Mario Candotto an seinem 18. Geburtstag in das Dachauer KZ-Außenlager Allach verbracht. Man gab ihm die Nummer 69610. „Neunundsechzigtausendsechshundertzehn“ – oft sprach er es aus. Nicht um es sich einzuprägen, sondern um es umzuwandeln: »Das ist die Zahl, mit der man mich auslöschen wollte. Und doch bin ich noch hier.«
In Dachau begann der Tag um 4.30 Uhr. Zwölf Stunden stand er an der Drehbank in Allach für BMW. Diese Maschine war sein Zufluchtsort: »Nur dort fühlte ich mich wie ein Mensch«, sollte er Jahre später sagen. Der Hunger war täglich, grausam, allumfassend. Sein Vater, schon völlig entkräftet, überließ ihm jeden Tag ein Stück seiner Ration. Ein stummer Liebesbeweis, den Mario Candotto erst viel später verstand. »Es war seine Art zu sagen: Halte durch.«
Nach einem dreimonatigen Aufenthalt im KZ Natzweiler wurde er im Oktober 1944 in das KZ-Außenlager Allach rückgeführt und im November 1944 in das KZ-Außenlager Trostberg überstellt. Im März 1945 starb sein Vater. Er selbst wurde am 3. Mai 1945 von US-amerikanischen Streitkräften befreit. Nach der Befreiung kehrte er nach Ronchi die Legionari zurück und traf dort auf seine beiden Schwestern, die Auschwitz überlebt hatten. Seine Mutter war auf einem der Todesmärsche aus Auschwitz gestorben.
1958 heiratete Mario Candotto Anna Maria Zotti, genannt Mariuccia. Gemeinsam zogen sie zwei Töchter groß. Erst 30 Jahre nach seiner Rückkehr nach Italien begann er über das Erlebte zu sprechen. Seine Frau Mariuccia war dabei stets an seiner Seite. Bis ins hohe Alter sprach er in Schulen, auf Erinnerungsreisen und bei öffentlichen Begegnungen über seine Lebensgeschichte. Immer wieder betonte er: »Man darf nicht vergessen. Vergessen wäre eine Schuld.« Seine Pflicht, sagte er, sei es, »die Toten zu ehren« und »die Lebenden zu wappnen«. Jedes Mal, wenn er die Zahl 69610 aussprach, verwandelte er einen Akt der Vernichtung in einen Akt der Zeugenschaft.
Mario Candotto hat regelmäßig an den alljährlichen Feierlichkeiten zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau teilgenommen. In Begleitung seiner Angehörigen war er zuletzt im Mai 2025 in der KZ-Gedenkstätte Dachau zu Gast und hat beim Gedenken am ehemaligen Krematorium eine Gedenkbotschaft an die Teilnehmenden gerichtet.
Die KZ-Gedenkstätte verliert mit Mario Candotto einen inspirierenden Zeitzeugen, der das Leben geliebt und stets positiv auf die Menschen geschaut hat. Er wird in guter Erinnerung behalten. Die Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte Dachau sind in Gedanken bei seinen Zugehörigen.