Nachruf

Boris Pahor (1913 – 2022)

 |  27. Juni 2022

Der slowenisch-italienische Literat und ehemaliger Häftling des KZ Dachau ist am 30. Mai 2022 verstorben. Mit tiefer Anteilnahme nehmen wir Abschied von Boris Pahor, der mit 108 Jahren der älteste noch lebende Dachau-Überlebende war.

Boris Pahor wurde 1913 in Triest geboren und zählte zur slowenischen Minderheit Italiens. 1920 musste er miterleben, wie militante Faschisten das slowenische Kulturhaus in Triest verwüsteten und zwei Jahre später die Macht an sich rissen. Diese frühen Erfahrungen einer zwangsweisen Italienisierung prägten Boris Pahor, der sich zeitlebens für die slowenische Kultur einsetzte.

1940 wurde Boris Pahor als Soldat in der damaligen Kolonie Libyen stationiert, wo er Zeuge der brutalen Behandlung der Einheimischen durch die italienische Armee wurde. 1941 wurde er Militärübersetzer für jugoslawische Kriegsgefangene, gleichzeitig nahm er ein Literaturstudium an der Universität Padua auf. Nach dem Sturz Mussolinis kehrte er nach Triest zurück. Dort schloss er sich den slowenischen Partisanen an. Im Januar 1944 wurde er verhaftet, weil slowenische Kollaborateure ihn verraten hatten.

Boris Pahor wurde einen Monat später in das KZ Dachau verschleppt. Nach der Quarantäne verlegte die SS ihn nach Markirch, einem Außenlager des KZ Natzweiler. Seine Mehrsprachigkeit kam ihm zugute, da er als Dolmetscher im Krankenrevier arbeiten konnte. Als Pahor im September 1944 für drei Monate nach Dachau zurückgebracht wurde, setzte er seine Krankenpflegetätigkeit fort. Die Machtlosigkeit, den kranken Mithäftlingen nicht wirklich helfen zu können, empfand er bis ins hohe Alter als Makel. Schließlich verlegte die SS ihn im Dezember 1944 ins Außenlager Harzungen des KZ Mittelbau, wo er ebenfalls als Häftlingssanitäter arbeitete. Mit einem Räumungstransport kam Boris Pahor schließlich im April 1945 ins KZ Bergen-Belsen, wo er am 15. April 1945 befreit wurde.

Boris Pahor kehrte Ende 1946 nach Triest zurück. Er schloss sein Studium ab, promovierte, gründete eine Familie und arbeitete von 1953 bis 1975 als Lehrer für italienische Literatur an einem slowenischsprachigen Gymnasium in Triest. Er engagierte sich politisch und veröffentlichte zahlreiche belletristische Werke. Darin verarbeitete er die Traumata der KZ-Haft, so auch in seinem bekanntesten Roman „Nekropolis“ (1967).

Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber der kommunistischen Regierung in Jugoslawien blieb ihm der Zugang zu einer breiten Leserschaft lange Zeit verwehrt. Erst nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten erreichte sein literarisches Schaffen durch Übersetzungen ins Französische, Englische und Deutsche ein internationales Publikum. Zahlreiche Auszeichnungen folgten, darunter 2001 die Nominierung für den Literaturnobelpreis. Die gesteigerte Wahrnehmung des literarischen Schaffens der KZ-Überlebenden führte im Jahr darauf dazu, dass der ungarische Buchenwald-Überlebende Imre Kertész den Preis erhielt.

Boris Pahor besuchte die KZ-Gedenkstätte Dachau anlässlich einer Einladung zu einem Zeitzeugengespräch im November 2012. Die Wahrung der Menschenwürde, auch unter so schwierigen Bedingungen wie einer KZ-Haft, gab er nach einer eindrucksvollen Ansprache dem Publikum als bleibenden Auftrag mit auf den Weg.

Wir trauern um einen aufrechten Zeitzeugen und sprechen den Hinterbliebenen unser Mitgefühl aus.