Nachruf

Jerzy Wojciewski (1926-2024)

 |  26. April 2024

Jerzy Wojciewski (Mitte) bei der 65. Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Dachau 2010, mit Bogdan Debowski (links) und Andrzej Korczak-Branecki (rechts) © KZ-Gedenkstätte Dachau

Die KZ-Gedenkstätte Dachau trauert um Jerzy Wojciewski. Der polnische Überlebende der KZ Dachau und Natzweiler starb im März 2024 in seiner Heimatstadt Warschau.

Jerzy Wojciewski wurde am 29. Oktober 1926 in Warschau geboren. Kurz vor dem Warschauer Aufstand im Sommer 1944 verließ seine Familie die Stadt und zog ins Umland. Während des Warschauer Aufstands schloss sich Jerzy im Alter von 17 Jahren der polnischen Untergrundarmee Armia Krajowa (sog. Heimatarmee) an. Mit den Partisanen lebte er in einem unzugänglichen Waldgebiet in Masowien. Von dort schmuggelte er Waffen und Munition aus einem Depot in die Hauptstadt. Ende August 1944 wurde er auf dem Rückweg einer solchen Aktion von den deutschen Besatzern festgenommen und unter Folter in der Warschauer Gestapo-Zentrale verhört. Ein Gestapo-Mann schlug ihm dabei mehrere Zähne aus und versuchte, von ihm Informationen über die Aktivitäten der Partisanen in den umliegenden Wäldern zu erpressen, doch Jerzy Wojciewski schwieg. Anfang September wurde er über das Durchgangslager Pruszków in einem Viehwaggon zusammen mit 3.600 weiteren Polen in das KZ Dachau deportiert. Dort blieb er für zwei Wochen in Quarantäne auf Block 17.

Als mehrere Vertreter der Firma Daimler-Benz in das KZ Dachau kamen, um sich Arbeiter für ein LKW-Werk auszusuchen, wurde auch Jerzy Wojciewski ausgewählt. Mit mehr als 1.000 Häftlingen wurde er zur Zwangsarbeit in das Werk Mannheim-Sandhofen deportiert, das dem KZ-Komplex Natzweiler unterstand. Zusammen mit anderen jungen Häftlingen wurde er dem „Lagerkommando“ zugeteilt, wo er Kartoffeln für die tägliche Suppe schälen musste – neben einem Stück Brot die einzige wirkliche Mahlzeit im KZ-Außenlager – oder als Schuhputzer für die SS-Bewacher und zur Latrinenreinigung eingeteilt war.

Jerzy Wojciewski gelang es, all die Monate von der Festnahme bis zur Befreiung heimlich einen winzigen Taschenkalender sowie einen kleinen Bleistift bei sich zu behalten. In den Kalender, den er in seiner Hose, in seinem Strohsack oder bei Kontrollen während des Appells in seinem Mund versteckte, notierte er fast täglich ein paar Worte über Ereignisse des Tages.

Kurz vor Weihnachten 1944 wurde die Daimler-Benz Fabrik in Mannheim bombardiert. Jerzy Wojciewski wurde sodann zusammen mit 199 anderen Häftlingen in das KZ Unterriexingen überstellt, wo er für ein Untertage-Verlagerungsprojekt von Daimler-Benz schwere Steinbrucharbeiten verrichten musste. Als entdeckt wurde, dass er sich mit einem leeren Zementsack vor der beißenden Kälte zu schützen suchte, wurde er schwer bestraft. Er zog sich ein Nierenleiden zu, von dem er sich sein ganzes Leben nicht erholte. Im Februar 1945 wurde er in das „Krankenlager“ KZ Vaihingen gebracht, wo er als Leichenträger dem „Totenkommando“ zugeteilt wurde. Nach kurzer Zeit erkrankte er an Typhus und wurde in den abgetrennten Bereich des Lagers gebracht, in dem die an Fleckfieber leidenden Häftlinge weitgehend sich selbst überlassen wurden. Er war 18 Jahre alt und wog nur noch 32 kg, als er am 7. April 1945 im Typhusblock des KZ Vaihingen die Befreiung durch französische Truppen erlebte.

Die nächsten Monate verbrachte Jerzy Wojciewski im „Sanitätsdorf“ Neuenbürg unter Quarantäne, wo er medizinisch versorgt wurde und allmählich wieder zu Kräften kam. Anschließend kam er nach Bensheim in ein Camp für Displaced Persons.

Jerzy Wojciewski kehrte wieder nach Polen zurück und machte eine Ausbildung zum Setzer und arbeitete über mehrere Jahre in der Banknotendruckerei. Als offenbar wurde, dass er sich während des Krieges der Heimatarmee angeschlossen hatte, wurde er entlassen, diskriminiert und hatte lange Zeit berufliche Nachteile. Schließlich konnte er aber doch in die Leitungsposition einer Druckerei aufsteigen. Jerzy Wojciewski gründete eine Familie, musste jedoch mit dem frühen Tod seiner Söhne herbe Schicksalsschläge verkraften.

Seit 1989 kam Jerzy Wojciewski auf Einladung von KZ-Gedenkstätten viele Male zu Zeitzeugengesprächen und im Rahmen deutsch-polnischer Begegnungen nach Deutschland und besuchte auch die KZ-Gedenkstätte Dachau mehrmals. Jerzy Wojciewski ist im März 2024 im Alter von 97 Jahren in Warschau gestorben. Wir behalten ihn in guter Erinnerung und unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen.