Virtuelles Gedenken zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2021

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde das deutsche Kriegs- und Besatzungshandeln nochmals radikalisiert. Gleichzeitig brach die deutsche Kriegsführung gegenüber der Sowjetunion systematisch geltendes Völkerrecht und missachtete dieses auch bei der Behandlung der gefangenen Rotarmisten, von denen ca. 5,7 Millionen ab 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Davon starben ca. 3,3 Millionen durch Hunger, Folter, Mord und Zwangsarbeit.

In Hebertshausen wurden in den Jahren 1941 und 1942 über 4.000 von der Gestapo ins KZ Dachau überstellte sowjetische Kriegsgefangene erschossen. Mit dem Projekt „Neugestaltung des Gedenkorts ehemaliger SS-Schießplatz Hebertshausen“ hat die KZ-Gedenkstätte Dachau die Namen der Opfer für eine Gedenkinstallation herausgefunden, ihnen den „Ort der Namen“ gewidmet und präsentiert dort auch ausgewählte Biografien der Ermordeten. Bei der dazu notwendigen Recherche haben neben Forscher/inne/n, Archiven und Gedenkstätten vor allem die Angehörigen der Opfer unschätzbare Hilfe und Unterstützung geleistet. Wir freuen uns sehr, dass sie auch anlässlich des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion uns ihre wichtigen Gedenkbotschaften zugeschickt haben.

 

Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941-44

Gruppe von sowjetischen Armeesoldaten in mehreren Reihen auf einem Feld (vor August 1943)

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 nahmen Landraub, Verschleppung, Ausbeutung und Massenmord der deutschen Angriffskriege gegenüber den vorherigen Angriffen auf andere Länder noch einmal gesteigerte Ausmaße an. Antislawische, antikommunistische und antisemitische Überzeugungen dienten als Grundlage für eine weitere Radikalisierung des Kriegs- und Besatzungshandelns.

Auch der Übergang zum systematischen Massenmord an den Juden im europäischen Maßstab nahm hier seinen Ausgang. Die NS-Führung und das Oberkommando der Wehrmacht wähnten sich in einem „Vernichtungskampf“ zweier verfeindeter Weltanschauungen, der gleichzeitig als „schicksalhafter“ Verdrängungskrieg zwischen feindlichen „Rassen“ galt, die um „Lebensraum“ kämpften. Bürger der Sowjetunion galten als „Untermenschen“, die entweder dem Hungertod preisgegeben oder zur Zwangsarbeit für das Deutsche Reich genötigt werden sollten. Gleichzeitig brach die deutsche Kriegsführung gegenüber der Sowjetunion systematisch mit geltendem Völkerrecht und missachtete dieses auch vorsätzlich bei Verhaftung, Unterbringung und Ermordung der gefangenen Rotarmisten.

Die Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen

Ca. 5,7 Millionen Angehörige der Roten Armee gerieten ab 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Davon starben ca. 3,3 Millionen durch Hunger, Folter, Mord und in Folge katastrophaler Lebens- und Arbeitsbedingungen in deutschen Lagern und an Zwangsarbeitsplätzen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen im Zuge des Ost-West-Konfliktes lange in Vergessenheit. Der Mord an den sowjetischen Kriegsgefangenen begann im Schlüsseljahr 1941, in dem die Konzentrationslager auch zu Zentren des systematischen Massenmords an sowjetischen Kriegsgefangenen, Arbeitsunfähigen und Kranken wurden.

Das Konzentrationslager Dachau – und dort vor allem der ehemalige SS-Schießplatz Hebertshausen – war neben den KZ Sachsenhausen und Buchenwald einer der zentralen Exekutionsorte für dieses Verbrechen. In Hebertshausen wurden in den Jahren 1941 und 1942 über 4.000 von der Gestapo ins KZ Dachau überstellte sowjetische Kriegsgefangene, die als „kommunistische Funktionäre“, „Intelligenzler“ und Juden ausgesondert worden waren, erschossen.

Betonierter Kugelfang am Ende der Schießbahnen des Schießplatzes in Hebertshausen

Beginn der Erinnerungsarbeit in Hebertshausen

Gedenkstein für die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen

Die Verdrängung der Erinnerung an die Opfer aus der ehemaligen Sowjetunion brach in Deutschland erst seit den 1990er Jahren allmählich auf. Auf dem ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen wurden 1998 erste Informationstafeln errichtet, die aber thematisch noch nicht sehr umfassend waren und den Opfern noch kein Gesicht geben konnten. Seit 2012 wurden gezielte inhaltliche Recherchen durch Mitarbeiter/innen der KZ-Gedenkstätte Dachau sowie durch den Historiker Reinhard Otto und die Übersetzerin Tatiana Szekely initiiert.

Der KZ-Gedenkstätte Dachau war es ein großes Anliegen, durch das daraus entstandene Projekt „Neugestaltung des Gedenkorts ehemaliger SS-Schießplatz Hebertshausen“ für eine Gedenkinstallation die Namen der Opfer herauszufinden, diese dort zu zeigen und die Ermordeten durch ausgewählte Biografien aus der Anonymität zu holen. Dafür sollten neben offiziellem Schriftgut auch persönliche Unterlagen wie Fotos, Dokumente, Briefe und Ausweise der Opfer verwendet werden. Um diese zu erhalten, musste der Kontakt zu heute noch lebenden Angehörigen hergestellt werden.

Kontaktaufnahme zu Angehörigen der Opfer

Diese Suche erwies sich als überaus schwieriges Unterfangen. Die sowjetischen Behörden hatten jahrzehntelang keine Informationen herausgegeben; Rückkehrer waren oftmals als „Verräter“ diffamiert oder sogar in Straflagern weiter inhaftiert worden. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die relevanten Archive nach und nach geöffnet, die Erschließung folgte langsam. Am Anfang des Projekts kannte die Gedenkstätte weder Namen noch Wohnorte der Angehörigen. Umgekehrt wussten die meisten Angehörigen nicht, dass der Bruder, der Vater oder der Großvater im KZ Dachau von der Lager-SS ermordet worden war und hatten daher auch wenig Grund gehabt, von sich aus den Kontakt zur Gedenkstätte zu suchen. Erst um 2010 hat vor allem das Projekt Obd.Memorial diese Situation verbessert. Unterstützung bekam die KZ-Gedenkstätte Dachau bei der Suche nach Angehörigen auch durch die Kontaktaufnahme zu Erinnerungsstätten in den Heimatländern.

Gedenkinstallation am Gedenkort "ehemaliger SS-Schießplatz Hebertshausen"

Gedenken mit den Angehörigen

Es geht bei den Recherchen zum Gedenkort in Hebertshausen neben der Materialsuche vor allem auch um Schicksalsklärung. Ein Erfolg dieses Vorgehens war, dass die KZ-Gedenkstätte Dachau in den Jahren 2014 und 2019 rund 30 Angehörige nach Dachau einladen konnte, um mit ihnen gemeinsam zu gedenken und zu erinnern. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte ein solches Einladungsprogramm in den Jahren 2020 und 2021 leider nicht erfolgen. Umso erfreulicher ist es für die Gedenkstätte, dass anlässlich des Gedenkens an den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion nunmehr zahlreiche Angehörige der ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen uns ihre wichtigen Gedenkbotschaften zugeschickt haben. Die KZ-Gedenkstätte Dachau dankt allen Angehörigen herzlich für ihre wertvollen Beiträge.